Die Welt erbricht sich an Klimawandel und geopolitischen Spannungen. Alles ist in einem derben Trauma an Halbwahrheiten gefangen. Lädiert breche ich ins Morgen, misstrauischer und unfreier im Geist als zuvor. Wo sind die Schwäne des Leichtsinns, wenn man sie braucht? Ich borge mir einen größeren Backpack und verzweifle an den Zugzeiten zwischen Genua und Gibraltar. Egal. Der Staub der Straße, die Ehre des Nomaden hat mich wieder. Interrail als Altersversicherung inklusive.
Ein Muskelfaserriss als Reisebegleiter
Der Schmerz, der mich von Leoben an begleitet, erinnert mich an das schicksallose Lotterleben. Einen Krampf vermutend, humpele ich in den Nachtzug nach Milano. Ein Mädel bietet Hilfe an, ich fluche und bekomme nicht mal meinen Backpack alleine in das oberste Gepäckregal. Dieses kleine Gastgeschenk der freien Welt wird mich durch den Sommer quälen. Ich fresse Seractil wie Gummibärchen und schinde, was hochgelagert und gekühlt zurück ins Bettchen soll.
Zu diesem Zeitpunkt noch fast edelmutig, werde ich weinerlich erst in einem anderen Kontext, zurück in Graz. Doch es zersplittert alle meine Pläne und gleichzeitig ist der Interrail-Pass aktiviert – es gibt kein Zürich Kosmos und Zurück an den Start.
Nachtzug nach Mailand: Begegnungen im Abteil
ÖBB und ein arabischer Italiener. Das Mädel im Abteil fährt nur bis Udine. Der schwitzige Bart meines Nachtzuggefährten, die etwas zu laute Unterhaltung mit seinem Boyfriend am Handy. Ich erzähle ihm mein Missgeschick, er zeigt Anteilnahme, als wäre er ein FPÖler mit der Ukraine. Manche Menschen können Empathie nicht einmal heucheln. Irgendwann im Viertelschlaf, im Rattern, muss er die Tür zum Abteil schließen, weil ich mich faul stelle. Er beugt sich nah, so nah, sein Körper toucht meinen. Er bleibt Sekunden länger als nötig an meiner Schielepornogodness hängen – all das muss nicht sein.
Genua: Seifenblasenträume und Realität
Genua ist ein Beweisstück dafür, wie sich Wunsch und Wirklichkeit oft sehr schnell in Seifenblasenglück verwandeln. Den ganzen Frühling über war Genua ein Schlüssel meiner Pläne, noch vor dem Flashsale in einem lässig luziden Italy per Bus und Länderpass To Do. Cinque Terre etwa, so einfach nun zu verwirklichen, aber jetzt passen die Zugzeiten und die zuckende Wade nicht ins Programm. Der Hohn statt Lohn wird erst viel später evident. Auch die Lust, ohne eine Drohne zu sein, an im Grunde bedeutungslosen Felsen entlang zu schlendern und auf Platzfreiheit für Fotos zu hoffen, die es millionenfach im Netz in bester Qualität gibt.
Und der Anblick Genuas selbst ist ehrlich gesagt kaum ein müdes Lächeln wert. Vier Stunden genutzte Wartezeit erweisen sich als ein Meer als genuag. Ja, es fühlt sich kurzfristig energetisch an, endlich wieder am heiligen Thalasso zu sein, zumindest nah, maritime Bedürfnisse entzückend zu belohnen. Es wird bei Weitem nicht die letzte Hafenstadt sein – diese erweisen sich als zentrales Thema der Reise.
Aber Genua ist ja nicht nur dieser touristisch aufgemotzte, aber lieblos wirkende Hafen.
Genua ist der Staub und der Dreck der armseligen Vororte und die dahin treibende Durchschnittlichkeit seines Äußeren, in trockene, dörrende Hitze gehüllt. Ich löse eine Tablette Isostar in meiner Aqua Minerale auf und durchforste mit Kamera im Anschlag den Porto Antico und diese beeindruckende, aber nun leblose Altstadt unter der Kathedrale.
Interrail: Eine neue Perspektive auf das Reisen
Interrail: Eine neue Perspektive auf das Reisen
Interrail ist auch jenseits des durchgehenden Nutzens eines solchen Passes eine intelligente und unschlagbar günstige Form der Fortbewegung. Am Ende werde ich etwa 9000 Kilometer zurückgelegt, 35 Städte zumindest kurz besucht und dafür etwa 370 Euro bezahlt haben. Es sind so viele Kleinigkeiten, die sich in mir stapeln und dem Abrufen entgegensehnen – keine Höhepunkte, aber Details und oberflächliche Tiefe ohne Ende. Eine Perlenkette des Zufalls, denn soviel sei vorweg genommen, es passierte nicht wenig, und dennoch viel. Manche Träume konnten nicht umgesetzt werden und benötigen eine Fortsetzung folgt.
Schmetterlinge der Freiheit
Ich will und werde hier, weil kaum noch möglich wie zu Chatwins Zeiten zu flanieren, säuberlich zwischen den verschiedenen Möglichkeiten und Formen trennen, aber vielleicht lässt sich etwas Grundsätzliches aus diesem entarteten Tourismus heraus brechen, das sich vom Einerlei unterscheidend dennoch wie ein modernisierter Quantensprung des Nomadentums anfühlt.
Denn natürlich ist auch bei den neuen und modernen Nomaden so mancher Fail dabei zum Trend zu werden. Mindful ist da eher rar.
Ich bin dabei ebenso ein Suchender, nach Worten und Taten, nach der Schönheit und dem Grauen, beides nicht verschweigend, nicht gewogen, weder der Befriedigung noch dem ewigen Neu, vielleicht dennoch Absatz für Absatz ein Kind des rastlosen Momentums, aber dankenswert slow in der Birne, um nicht jedem Kick eine Bedeutung beizumessen.
Es wird Zeit für den nächsten Zug, ich kann meine Augen nicht von der Travellergymnastik einer französischen Backpackerin am selben Bahnsteig wenden. Sie ist das junge Ideal de
Wie Maggie und Shawn, zwei gerade mit der Schule fertig gewordene Waliserinnen, die ich auf dieser Bank im Tiefparterre des Züricher Bahnhofs schlafend finde, bis wir Rausgeworfenen die Nacht auf einer anderen, weniger komfortablen Bank der städtischen Verkehrsbetriebe verbringen. Sie machen ebenfalls Interrail und versuchen, Hostelkosten zu sparen, indem sie immer nur mit Nachtzügen quer durch Europa fahren. Voll Oldschool, damals war das der erste Gedanke, den man hatte.
Ich und Maggie tindern beide, bevor wir uns ansprechen, aus Langeweile. Shawn schläft dabei wie ein Kätzchen weiter. Mädchen und Frauen können grundsätzlich wie Kätzchen schlafen, Männer wirken eher wie betrunkene Affen. Beobachte den Unterschied in Bussen und Zügen. Die hübsche Beweglichkeit des weiblichen Körpers, die zusammenpassende Ästhetik ist durch alle Länder und Kulturen präsent, wenn sie nicht von Lebensstil und Drill zersägt sind.
Die beiden sind lustig, Shawn redet nicht viel, aber wenn ihr etwas gefällt, lacht sie laut und abrupt. Sie schmetterlingen dann nach Wien weiter, ich bin in andere Railroadaffären verwickelt.
Wie Aden, der in Florenz arbeitende Inder, ein Zimmerkollege in Marseille. Er fährt mit dem Rad von Rom nach Barcelona, diesmal gönnt er sich einmal mehr als sein Zelt. Er hat auch einen schmierigen Bart, vielleicht ist das in, vielleicht ölen die Leute ihn wirklich ein. Ich habe mal von diesem Brauch gehört, aber er ist bedeutend freundlicher und ich mag, dass wir eine sehr ähnliche Route ausgearbeitet haben. Er versaut zwar die Dusche, aber das ist ein grundsätzliches Problem in jedem Hostelzimmer, das du mit dem männlichen Geschlecht teilst. Mein Gender duscht wie es in Bussen und Zügen schläft. Und ich bin nur nicht trans, weil mir das zu aufwendig vorkam.
Wie Martin, der junge Brasilianer mit dem deutschen Namen aus Blumenthal, mit dem ich Telefonnummern austausche. Er ist hübsch, smart und edel, vielleicht mag ihn meine Tochter, und er fährt auf ein Techno-Festival, bevor er von Amsterdam aus nach Kärnten aufbricht, um dort Volunteering mit Kindern zu machen. Der perfekte Schwiegersohn.
Vielleicht sogar wie dieser seltsame, trashige Riese ohne Namen, mit dem ich hier den Vierersitz im vollbesetzten Regio nach Cannes teile. Er ist mir anfangs unsympathisch und so widerlich laut, sich auch als Einziger kaum an gesellschaftliche Regeln haltend – der typische Algier-Franzose mit viel Platz-da-jetzt-komm-ich-Verhalten. Ein Baby auf zwei Metern.
Aber er rappt hier mitten im überbesetzten Regionale in sein Smartphone. Das ist nervig, doch irgendwie dann auch schon wieder abgefahren geiler Scheiß. Was immer dieser Sprachmix ist, der Rhythmus ist intensiv und ich kann nicht umhin, ihn mit leichtem Mitwippen zu würdigen. Respekt erweist sich wieder einmal als Lysis. Consent als andere Option wäre ihm eh kein Begriff. Er macht das gerade live für seinen YouTube-Kanal, stellt er mehr fest, als dass er es erzählt.
Ich würde zwar dennoch lieber weiter einen Vierer mit der vorhin beobachteten, perfekten Backpackerin teilen, die gerade etwas liest, aber zumindest bin ich der drittcoolste im gesamten Abteil. Das macht Hoffnung.
Ventimiglia und Cannes: Kontraste der Côte d’Azur
Ventimiglia ist im Grunde eine Straße vom Bahnhof wegführend, direkt mit Aussicht aufs Meer. Ich habe es bereits, seit ich im Rail Planner plane, zu hassen gelernt, weil es schwierig ist, das Grenzstädtchen vor Einbruch der Nacht wieder zu verlassen.
Was bitte sollte man hier tun?
Seinen Kopf durchsetzen kann immer wieder einmal auch böse enden und dann geht es zwar mit dem schöneren Zug an die azurblaue Küste und natürlich liebe ich die Aussicht vom ersten Moment an, es ist ein streichelweiches bildgewaltiges Freudenfest an Panorama mit deutlich besser geputzten Fenstern als in Italia.
Schrecksekunden später, and a nice Talk with the Guard outside the Station, der meint hier würde zugesperrt und sehr sicher sei es nicht, aber immerhin noch sicherer als in Nizza. Über das französische Fiasko schreibe ich an vielen Stellen, hier lassen wir aber einfach Cannes by Night auf uns wirken.
In Cannes angekommen, erstirbt das Lachen, als mir spätabends gesagt wird, es gebe keine Gepäckaufbewahrung mehr, es sei ja schon nach 22 Uhr. Und das billigste noch freie Hotel, denn in diesem pseudoreichen Möchtegernschick gibt es kein Hostel, kostet um die 150 für die längst angefangene Nacht.
Overnight in Cannes: Unerwartete Schönheit
Überschätzt wie alles in Südfrankreich, aber dennoch beginnt das geplante, aber nicht mit 60 Litern am Rücken und gekillter Wade, Overnight in Cannes mit etwas wirklich Wunderschönem.
Davor haben mich meine Füße im Sand, der Duft von nützlichem Gras in der Nase und der nächste Algier Rap, diesmal aus dem Soundcube eines ähnlichen Loners auf der anderen Seite des Stegs am Public Beach wieder ins nörgellose Liebeskind getriggert. Alles gut, solange du dich nicht Zuviel bewegst.
Ich bin am Plage Macé, dem einzigen Strand, an dem heute Abend noch viel los zu sein scheint, und der nicht von den dekadenten Möchtegern bevölkert ist, sondern von dir und mir in tausend Variationen.
Der wahre Luxus sind die entspannten Menschen umher, die beiden Cuties, die sich mit nassen Kleidern auf MDMA in den Wellen aneinander berauschen, der Hund, der sich mit uns allen mitfreut, mitstaunt, zwischen all den Aaaa und Ooooochs. In solchen hingewürfelten Stunden ist das Blau begreifbar.
Reflexionen über das Reisen
Reisen ist der ewige Traum, das Verlangen, die Sehnsucht, die Erinnerung an Leben anstatt Arbeit und Sterben. Ich bin dabei ebenso ein Suchender, nach Worten und Taten, nach der Schönheit und dem Grauen, beides nicht verschweigend, nicht gewogen, weder der Befriedigung noch dem ewigen Neu, vielleicht dennoch Absatz für Absatz ein Kind des rastlosen Momentums, aber dankenswert slow in der Birne um nicht jedem Kick eine Bedeutung beizumessen.
Ausblick: Ein Vorgeschmack auf das Kommende
Was immer ich noch zu sagen hätte, wie diese Nacht in Cannes sich verlaufen wird, wie alles zufrieden in perlenklarem Wasser auf den Liebesinseln Granita gekickt den Einklang herstellt, oder manchmal auch nicht, das sind die Spuren der Freude, wie ein Schatten durch die Tage zu tanzen.
Hier vorab gekrönt, mir zu Ehren grinst der mystische Narziss. Das Blaue ist ein goldener, die Luft verschmutzender Funkel-Himmel in schwarzer Nacht. Nachher werde ich einem Rave lauschen und den angeblichen Luxus von angeblichen Luxushotels belachen.
Und Vergessenes wird belebt, dem Titel dieser kleinen Elegie an die Neugier und den stillen Schrei Würde bereitend. Auch wenn die Trotteln, die unsere Welt beherrschen, niemals weit sind. Aber das ist ein anderes Raumzeithaiku, für einen anderen, nach dem Glück im Nichts strebenden Flug.